Arbeit

Arbeit

Was bedeutet ein weiter-gefasstes Verständnis vom Wirtschaften für unseren Begriff vom Arbeiten?

Lohnarbeit, Care-Arbeit, Sorge- und Familienarbeit, Hausarbeit, digitale Arbeit, affektive Arbeit, Arbeit am Selbst. Das Wort Arbeit lässt sich mit so ziemlich allem kombinieren und auch in der Alltagssprache wird schnell alles mal als Arbeit bezeichnet. Dass sich Wirtschaftsgeograph*innen mit Arbeit beschäftigen sollten – angesichts der Tatsache, dass menschliche Arbeitskraft die Grundlage des Wirtschaftens darstellt – liegt auf der Hand. Es passiert jedoch selten.

Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten Arbeit begrifflich zu fassen. So kann z.B. die notwendige Tätigkeit zum Selbsterhalt als Arbeit definiert werden. Oder Arbeit kann über den Charakter der Tätigkeit (mühsam oder fremdbestimmt) definiert werden. In jedem sozialen Zusammenhang findet ein Leistungsaustausch zwischen Mitglieder*n statt. Nicht jeder Leistungsaustausch wird als Arbeit anerkannt. In den meisten gegenwärtigen Kontexten stellt die Form der Lohnarbeit die macht-geladene Norm dar, an der Tätigkeiten gemessen werden. Diese Norm wird kulturell vermittelt und reproduziert, z.B. durch staatliche Institutionen wie Arbeitslosenhilfe, Rentenversicherung oder Elterngeld (Ansprüche, die sich allesamt über die Erwerbsbeteiligung und ihren Lohn bemessen). Es gibt eine gesellschaftlich-geschaffene Notwendigkeit, arbeiten zu müssen: dadurch, dass die meisten Menschen ihre Nahrungsversorgung etc. nicht selbst organisieren können, nicht kostenlos wohnen oder überleben können_dürfen und auch als Arbeitslose meist sozial ausgeschlossen werden – darüber, dass Geld zum materiellen Selbsterhalt und sozialen Wohlbefinden nötig wird, wird die Lohnarbeit zum Zwang.

Für eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Arbeit: Habermann (2016), insbesondere S. 100-104. Für eine liberale Übersicht verschiedener Arbeitsbegriffe, siehe: Krebs (2002), Kap. 1. Zur Geschichte der Lohnarbeit: Castel (2000).

Mit Karl Marx könnte die Mehrheit der Menschen, die diesem Zwang unterliegt, als Arbeiter*innen-Klasse bezeichnet werden. Die im 19. Jahrhundert entstehende Lohnarbeit erscheint als widersprüchlicher Ort der Ausbeutung und Inklusion in die industrialisierte europäische Moderne zugleich. Sie wird zur Norm, die sich für ihren Selbsterhalt auf andere Formen der Arbeit stützt, wie der Familienarbeit, die die Reproduktion von Kindern (neuer Arbeitskraft) und der Arbeiter sicherte oder der mit Gewalt erzwungenen Arbeit von Versklavten und Kolonialisierten, die das kapitalistische, weiße, männliche Industrieregime mit Arbeitskraft, Land und Rohstoffen versorgte.

Zur soziologischen Unterscheidung von Klasse, Schicht und Milieu, siehe bspw.: Solga, Berger & Powell (2009), S. 11-45.

Diese und andere Formen der Arbeit erfahren nicht die gleiche gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung – genauso wenig wie die sie verrichtenden Subjekte. Darauf weisen feministische und dekoloniale Kritiker*innen seit geraumer Zeit hin. Auch Klassismus-theoretische Ansätze richten das Augenmerk auf die Verzahnung verschiedener Herrschaftsformen. Zwei Ziele können damit erreicht werden Zum einen wird Wirtschaften als unbestimmter Prozess auf die Arbeit und Prozesse bezogen, die diesen hervorbringen. Zum anderen wird der Fehler vermieden, nur Lohnarbeit als wirtschaftsgeographisch relevante Arbeitsform zu betrachten, wohingegen die verschiedenen Tätigkeiten, die Arbeiten und Wirtschaften ermöglichen, berücksichtigt werden sollten.

Den Ausgangspunkt für diese klassismus-theoretischen Ansätze stellen hier die Aufsätze der „Furies“ dar, eine Gruppe lesbischer Feministinnen in den USA: Bunch & Myron (1974), hooks (2000). Für eine Übersicht: Kemper & Weinbach (2016).

Da wirtschaftliche Aktivität – da Mehrwert – nicht aus dem Nichts hervorgeht, sondern auf der Vereinnahmung von menschlicher Arbeitskraft, ökologischer Prozesse und digitaler Netze beruht, scheint es umso notwendiger, diesen Kern des Wirtschaftens in den Fokus alternativer wirtschaftsgeographischer Ansätze zu stellen. Dabei ließen sich Wirtschaftsgeographien auch als ethnographische, alltagsweltliche Studien von konkreten Arbeitskontexten gestalten, anstatt auf Ebene von Warenketten oder Standort- und Raumsystemen zu denken.

So können Grenzziehungen bspw. in den Fokus alternativer Wirtschaftsgeographien rücken: Mezzadra & Neilson (2013). Zu einem Ansatz, „digitale Arbeit“ zu fassen: Fuchs & Sevignani (2013). Zur Vereinnahmung ökologischer Prozesse: Moore (2016).

Wirtschaftsgeographie als Arbeit

Die Thematik des Arbeitens wirft zudem eine weitere, selbst-reflexive und Inception-mäßige ((Hier ist der Hollywoodblockbuster von 2010 gemeint. Ein zentrales Motiv: der Traum im Traum.)) Problematik auf: Die Wirtschaftsgeographie, die ja Wirtschaften und Arbeiten zum Gegenstand hat, ist selbst ein Teil von Wirtschaften und Arbeiten. Sie ist selbst Wissens-Arbeit und -produktion. Am deutlichsten wird das wohl bei Autoren wie Richard Florida, die einen theoretischen Ansatz entwickeln und diesen dann selbst zur Basis eines eigenen Beratungsgeschäfts machen (gemeint ist die Creative Class). Weniger deutlich ist es bei Studien zu Standorten oder Wertschöpfungsketten, die ja gleichzeitig Aufmerksamkeit, Expert*innenwissen, akademische Bekanntheit, Sozialstatus (vielleicht kommt ja eine Professur und ein Job dabei ‘rum) und Verbesserungsvorschläge produzieren.

Im Kontext Berlin kann hier auch an die Verflechtungen des Standortmanagements (u.a. WISTA Management) und des Geographischen Instituts der Humboldt-Universität gedacht werden..

Die Wissensarbeit greift unweigerlich in die studierte Realität ein – die beiden sind nicht zu trennen. Dieser analytisch-theoretische Hinweis macht also deutlich, dass Wissensarbeit auch immer eine politische und eine ökonomische Dimension hat: Welche Arbeitsformen werden als Normalität angesehen und behandelt? Welche Probleme werden aufgeworfen und welche Problematiken werden nicht berücksichtigt? Auf welche Weise werden die Wirtschaftsgeograph*innen hier Mit-Produzent*innen von Wirtschaftsgeographien? Wir kommen hiermit also zu den Fragestellungen des ersten Kapitels zurück…

Literatur

Bunch, C. & N. Myron (Hrsg.) (1974): Class and Feminism. A Collection Of Essays From The Furies. Baltimore: Diana Press.

Castel, R. (2000): Die Metamorphosen der sozialen Frage: Eine Chronik der Lohnarbeit. Konstanz: UVK.

Fuchs, C. & S. Sevignani (2013): What is Digital Labour? What is Digital Work? What’s their Difference? And why do these Questions Matter for Understanding Social Media? In: TripleC, 11(2), S. 237-293 – Online: http://triplec.at/index.php/tripleC/article/download/461/468 (02.12.2017).

Habermann, F. (2016): ECOMMONY. UmCARE zum Miteinander. Sulzbach: Ulrike Helmer – Online: http://keimform.de/wp-content/uploads/2016/06/Habermann_Ecommony.pdf (01.03.2018).

hooks, bell (2000): Where We Stand: Class Matters. Hoboken: Routledge.

Kemper, A. & H. Weinbach (2016): Klassismus. Eine Einführung. Unrast.

Krebs, A. (2002): Arbeit und Liebe. Die philosophischen Grundlagen sozialer Gerechtigkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Mezzadra, S. & B. Neilson (2013): Border as Method, or, the Multiplication of Labor. Duke University Press. Eine Skizze dieser Arbeit gibt es bspw. hier: http://eipcp.net/transversal/0608/mezzadraneilson/de (04-03-2018).

Moore, J. W. (2016): The Rise of Cheap Nature. In: Sociology Faculty Scholarship, 2 – Online: https://orb.binghamton.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1001&context=sociology_fac (04.03.2018).

Solga, H., Berger, P. A. & J. Powell (2009): Soziale Ungleichheit. Klassische Texte zur Sozialstrukturanalyse. Frankfurt a.M., New York: Campus.