Preis & Wert

Preis & Wert

Anfang des 21. Jahrhunderts leben die meisten Menschen in gesellschaftlichen Zusammenhängen, die auf Tausch und Geld aufbauen. Waren haben hier ihren Preis – was hat es damit auf sich? Es gibt verschiedene Theorieansätze, die zu erklären versuchen, wie der Preis als Repräsentant des Werts einer Ware zustande kommt. Drei Varianten sollen hier umrissen werden: die nutzenwert-theoretische, die arbeitswert-theoretische und eine renten-basierte Erklärung.

Der Preis ist dabei nicht gleich dem Wert einer Ware; er repräsentiert diesen Wert lediglich mehr oder weniger gut.

Nutzwert

Die vom Nutzenwert ausgehende Betrachtungsweise, auch Grenznutzenschule genannt, gibt an, dass der Preis einer Ware deren subjektiv-zugeschriebenen Wert repräsentiert. Dieser Wert ergibt sich aus dem Zuwachs an Nutzen, den Käufer*innen der Ware zusprechen – diese Denkschule geht gewissermaßen von einem subjektiven und individualistischen Verfahren zur Wertbestimmung aus. Dieses Verständnis liegt wohl am nächsten an unserem alltäglichen Sprachgebrauch und Verständnis von Preisen, wie im folgenden Beispiel dargestellt: Was? Fünf Euro? Das ist mir ein Filterkaffee nicht wert. Der Wert einer Ware ist somit nichts Objektives, er kann sich zwischen verschiedenen Subjekten unterscheiden.

Zu beispielhaften Darstellungen der Grenznutzenschule, siehe Varian (2011). oder online:
(o.J.) „Neoklassische Theorie“:
https://www.lai.fu-berlin.de/e-learning/projekte/vwl_basiswissen/Theorien_des_oekonomischen_Denkens/Nationaloekonomie/Neoklassische_Theorie/index.html (04.03.2018).

Der Ansatz besticht durch seine Einfachheit, wirkt jedoch insofern problematisch, da bspw. (a) nicht anzunehmen ist, dass alle Individuen vor dem Kauf solch eine fiktive nutzenwert-theoretische Rechnung durchführen und (b) dass viele Menschen möglicherweise gar nicht die Wahl haben, den Preis als etwas verhandelbares anzusehen, da äußere Umstände, Mangel, Krieg, Sprachbarrieren o.ä. sie im Marktgeschehen benachteiligen. Die Grenznutzenschule ist in verschiedenen Varianten der zentrale Ausgangspunkt für den Mainstream der Wirtschaftswissenschaften.

Arbeitswert

Im stärksten Kontrast zu dieser Denkschule steht die arbeitswert-theoretische Herangehensweise an die Bildung vom Wert einer Ware. Sie wird meist ausgehend von den Schriften von Karl Marx entwickelt – obwohl sie bereits vorher in Arbeiten von Ökonomen wie Adam Smith vorhanden ist. Diesem Ansatz zufolge bestimmt sich der Wert einer Ware über die Arbeitszeit, die in einer Gesellschaft notwendig ist, um diese Ware zu erstellen (gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit). Das bedeutet allerdings nicht, dass ein von Dir hergestellter Stuhl so viel wert ist, wie Du in Stunden an ihm gearbeitet hast. Stattdessen bemisst sich der Wert des Stuhls nach der durchschnittliche Produktivität der gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen du handelst bzw. produzierst. Hiernach beschreibt Produktivität, wie viel Arbeit bzw. Arbeitszeit allgemein in „deiner“ Gesellschaft benötigt wird, um einen Stuhl herzustellen. Dabei können z.B. neue Fertigungsmaschinen oder neue Formen der Arbeitsorganisation (wie Fließbandproduktion) eine große Rolle spielen. So könnte im Durchschnitt durch solche Innovationen nur noch ein Zehntel der Zeit für die Fertigstellung eines Stuhls benötigt werden und somit auch sein Arbeitswert sinken (gleichwohl du ggf. keinen Zugang zur diesen neuen Technologien etc. hast und somit weiterhin deutlich mehr Arbeitszeit für einen Stuhl aufbringen musst).

Zu beispielhaften Darstellungen der Arbeitswerttheorie, siehe: Heinrich (2004), Harvey (2011). ..oder als Video: http://davidharvey.org/reading-capital/ (01-03-2018). Zu Marx himself: Marx (1969).

Da über Erhebungen die durchschnittliche Produktivität eine Gesellschaft ermittelt werden kann, wird im Gegensatz zur Grenznutzenschule der Wert einer Ware gewissermaßen objektiv bestimmt. Auch nimmt die arbeitswert-theoretische Betrachtung die Produzent*innen, also diejenigen, die ihre Arbeitskraft und -zeit in die Produktion von Waren stecken (müssen), in den Blick.

Eine der Schwierigkeiten dieser Betrachtungsweise liegt jedoch darin, dass die produzierten Waren nie zum ihnen theoretisch-beigemessenen Wert getauscht werden, sondern zu Preisen, in deren Bildung eine Menge weiterer Ursachen einfließen: insbesondere heute, da viele Waren scheinbar mehr über einen Markennamen, eine Monopolstellung oder eine willkürlich-bepreiste digitale Lizenz verkauft werden, scheint die arbeitswert-theoretische Betrachtung nicht ausreichend. ((Was nicht bedeuten soll, dass es nicht möglich wäre, die Warenwerte über die gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeiten zu quantifizieren. Die Frage wäre jedoch, welchen analytischen Nutzen und welche politische Schlagkraft das Beharren auf diesen Werten gegenüber den tatsächlich von Unternehmen und staatlichen Regelungen durchgesetzten Preisen hätte.))

Rente

Zuletzt soll daher auf eine renten-basierte Erklärung von Preisen hingewiesen werden. Eine solche Betrachtungsweise ist keine wirkliche Denkschule, vielmehr sollen unter Bezugnahme auf den Begriff der Rente hier einige Gedanken angestoßen werden. Rente meint hier die Möglichkeit, ausgehend vom Eigentum an einem Objekt (Grundstück, Wohnung, intellektuelles Eigentum an einer Lizenz o.ä.), eine Zahlung für dessen Nutzung zu erzwingen. ((Die Rente kann so gesehen als spezifische Form eines Schuldenverhältnisses gedacht werden, in der das Eigentum an einer Sache eine Asymmetrie schafft, die eine ökonomische Ausbeutung ermöglicht.)) So kann bspw. ein*e Landeigentümer*in für die Bewirtschaftung seiner*ihrer Parzelle einen Geldbetrag erwirtschaften oder eine Software-Firma Nutzungslizenzen für die Nutzungen der von ihren Wissensarbeiter*innen hergestellten Programme einfordern.

Zu beispielhaften Darstellungen der renten-basierten Überlegungen, siehe: Harvey (2007a), Marx (2012a, 2012b). Als Praxisbeispiel kann auf die Zusammenhänge von Grundrente und Gentrification verwiesen werden: Belina (2015).

Grundsätzlich lassen sich mindestens drei Typen von Renten unterscheiden: eine feudale, eine kapitalistische und eine postfordistische Form der Rente.

Feudalrente

Als Überbleibsel aus mittelalterlichen, feudalen Gesellschaften oder als Ergebnis von Kolonialisierungsprozessen kann Eigentum an Agrarländereien zum willkürlichen Einfordern einer Grundrente dienen. Die geforderten Geldbeträge werden nicht über die Produktivität eines Stückes Land gerechtfertigt, sondern allein über das durch Gewalt gestützte Monopol an dessen Besitz und dem daraus resultierenden Herrschaftsverhältnis.

Mit der Industrialisierung und der Entstehung der kapitalistischen Produktionsweise im Europa des 19. Jahrhunderts wirkt diese Form der Rente jedoch „altmodisch“. Der Begriff kapitalistische Produktionsweise meint hier, dass der Zweck der Produktion die Erwirtschaftung eines Profits wird und dass Geld hier – als Kapital – dazu verwendet wird, Arbeitskraft und Produktionsmaschinen zu kaufen, um einen Produktions-, Zirkulations- und Konsumptionsprozess in Gang zu setzen. Die Produktivität der verausgabten Arbeitskraft wird dabei zum Maß des Werts der gehandelten Waren – die feudale Rente erscheint daher als nicht kapitalistisch: Sie wird durch nichts außer Machtstrukturen gerechtfertigt und kommt so gesehen von „außerhalb“ der Logik der kapitalistischen Produktion.

Kapitalistische Rente

Karl Marx geht in seinem Kapital Band III jedoch einen Schritt weiter und merkt an, dass es auch eine kapitalistische Form der Rente geben kann. Wenn die kapitalistische Produktionsweise jene ist, in der der Einsatz von Arbeitskraft den Wert einer Ware bestimmt und die dadurch objektiv bzw. rationalisierbar wird, so kann der Rente eine zentrale Bedeutung zukommen: sie kann zur Einpreisung von unfairen Produktivitätsvorteilen dienen, die sich nicht direkt aus dem Einsatz von Kapital bzw. Arbeitskraft ergeben, sondern von Faktoren ausgehen, die diesem Prozess zunächst extern sind (Fruchtbarkeit eines Stückes Land, Attraktivität einer wirtschaftlichen Lage, das Flair eines Stadtviertels o.ä.).

Der Grundeigentümer, der ein besonders fruchtbares Stück Land besitzt, kann sich glücklich schätzen: Obwohl die von ihm bezahlten Landarbeiter*innen genauso viel arbeiten wie die der Nachbar*innen, erntet er mehr Bohnen, die er dann auf dem Markt profitabler verkaufen kann. Die Fruchtbarkeit des Bodens drückt sich hier in dem vergleichsweise produktiveren Arbeitseinsatz aus; der produktivere Arbeitseinsatz spricht wiederum diesem Stück Land – zu Markt getragen – einen (höheren) Geldwert zu. Durch diese „Abbildung“ der Produktivitätsvorteile in Geldform macht die kapitalistische Grundrente nicht im Arbeitsprozess produzierte Dinge handelbar und trägt so zu einer potenziell effizienteren Verteilung von Kapitaleinsatz bei: sie erlaubt es dem Grundeigentümer aus dem obigen Beispiel, Dinge wie den Boden als zinstragendes Kapital (als fiktives Kapital) zu behandeln und zu verkaufen. Grundeigentümer*innen können per Rente quasi-„natürliche“ Produktivitätsvorteile vermarktlichen und abschöpfen. ((Der kapitalistischen (Grund-)Rente kommt somit keine rein passive Funktion zu. Vielmehr spielt sie über die Einpreisung von nicht-kapitalbedingten Produktivitätsvorteilen in der Verteilung und Koordination von Kapitaleinsätzen eine aktive Rolle.))

Es klingt vielleicht zunächst nicht weiter problematisch, dass gewisse Produktionsvorteile zur Gewinnmaximierung genutzt werden – aus ökonomischer Perspektive ist es sogar sinnvoll, dass Kapital „dort“ eingesetzt wird, wo die Grundrente einen Produktivitätsvorteil signalisiert. Es ist in der Praxis aber nicht so, dass mal die eine und mal der andere einen zufälligen Vorteil nutzen kann. Die Verteilung von Renten ist meistens ebenso wenig zufällig wie fair. Vielmehr können Renten dauerhafte Ungleichverteilung zementieren.

Besonders heute – zu Beginn des 21. Jahrhunderts – da die Produktivität stark von überlieferten Innovationen sowie Patenten auf Maschinendesigns oder Soft- und Hardware abhängt, kann die Rente über das Eigentum an diesen (geistigen) Produktionsmitteln zur Festschreibung von Marktvorteilen oder Oligopolen genutzt werden.

Postfordistische Rente

Innerhalb der finanzmarkt-orientierten Produktionsweise, die sich ab den 1970er Jahren im Zuge der Neoliberalisierung entwickelte, scheint sich die Bildung von Monopolen zudem in verschiedenen Wirtschaftsbereichen zu beschleunigen (mensch denke an Apple, Google, Microsoft, Nestlé, CocaCola). ((Es lassen sich hier auch Parallelen zu Diskussionen um die Monopolbildung Anfang des 20. Jahrhunderts vor den Weltkriegen erkennen (prominent z.B. Lenin (2001).)) Angesichts einer zunehmenden Monopolbildung liegt es daher nahe, die Preisbildung heute vielmehr als einen willkürlichen Aushandlungsprozess auf Basis zentralisierter Eigentumstitel zu verstehen. Die Preisbildung wird in diesem Sinne weder direkt durch den Einsatz von Arbeitskraft (also Arbeitswert) geprägt, noch durch Mechanismen von Angebot und Nachfrage. Vielmehr sind die durch die kapitalistische Produktionsweise entstandenen Monopole entscheidend.

Es kann von einer postfordistischen Rente gesprochen werden: post- also nach-fordistisch meint hier, dass die Rente – und nicht mehr der Profit aus der (industriellen und fordistisch-organisierten) Produktion – eine dominante Rolle in der Wirtschaft spielt. Hinzu kommt der Bedeutungsgewinn der Rente bei der Inwertsetzung sozialer Verhältnisse außerhalb der Produktion. So z.B. bei der Inwertsetzung menschlicher Kommunikation auf Plattformen wie Facebook, die dort gleichzeitig Datenakkumulation und Marketing dient; der Nutzung von Diensten wie z.B. Spotify, YouTube oder GoogleMaps sowie bei der Grundrente und Miete (über die Liberalisierung und Finanzialisierung der Immobilienwirtschaft). Alle Folgen einer renten-basierten Logik der Vereinnahmung von nicht-arbeitsmäßigen Tätigkeiten (Kommunikation, Musikgenuss, Wohnen usw.).

Für eine Darstellung der Monopol-dominierten Wirtschaftsordnung der westlichen Nachkriegszeit: Baran & Sweezy (1973). Zur Debatte der Finanzialisierung: Lapavitsas (2013), Marazzi (2010). Zur Debatte um Neoliberalisierung: Harvey (2007b), Mirowski (2015), Peck, Brenner & Theodore (2018). Zum Begriff „fordistisch“: https://de.wikipedia.org/wiki/Fordismus (04.03.2018)

Die Finanzialisierung und die damit einhergehende renten-basierte Akkumulationsweise sollte jedoch nicht als passive (unproduktive) Abschöpfung von Profiten aus einer vermeintlich produktiven „Realwirtschaft“ gesehen werden – auch Finanzialisierung und renten-basierte Akkumulationsweise (re)produzieren Macht- und Herrschaftsverhältnisse, schaffen ganze (Stadt-) Landschaften und soziale Beziehungen zum Zwecke der Akkumulation. Die Frage sollte also vielmehr lauten: Welche Verschiebungen gehen mit finanzmarkt-orientierten Produktionsregimen in Bezug auf Arbeits- und Unternehmensorganisationen einher?

Die bisherigen Überlegungen und Reflexionen zu etablierten Theorien zeigen, dass die Preisbildung nicht flächendeckend und zeitlos durch „neutrale“ Theorien erklärt werden kann. Vielmehr ist die Etablierung von Preisen stark von den Machtbeziehungen abhängig, die zwischen den involvierten Akteur*innen wirken. Preise sind somit keine naturgegebenen, allgemeingültig erklärbaren Größen, sondern werden in spezifischen, wandelbaren Kontexten produziert und verhandelt. Ausgehend davon verliert die Suche nach einem universalen Erklärungsmodell ihre Bedeutung. Viel relevanter sind die Umstände und Machtverhältnisse, die die Produktion, Wertschöpfung und Zirkulation von Waren bedingen. Fragen danach, warum ein bestimmtes Produkt wie teuer ist, wie Wert vereinnahmt wird, sowie warum ein bestimmtes Unternehmen profitabel ist, können hier Ansatzpunkte bieten.

Literatur

Baran, P. A. & P. Sweezy (1973): Monopolkapital: Ein Essay über die Amerikanische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Belina, B. (2015): Marx, die Grundrente und Gentrification. Satellitenseminar mit Bernd Belina vom 15.12.2015 – Online: https://soundcloud.com/rosaluxstiftung/marx-die-grundrente-und-gentrifizierung (05.03.2018)

Harvey, D. (2007a): The Limits to Capital. London: Verso.

Harvey, D. (2007b): Kleine Geschichte des Neoliberalismus. Zürich: Rotpunktverlag.

Harvey, D. (2011): Marx’ »Kapital« lesen. Ein Begleiter für Fortgeschrittene und Einsteiger. Hamburg: VSA.

Heinrich, M. (2004): Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung, 2. Auflage. Stuttgart: Schmetterling.

Lapavitsas, C. (2013): Profiting Without Producing. How Finance Exploits Us All. London Verso.

Lenin, W. I. (2001): Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus: Gemeinveständlicher Abriss. München: Das Freie Buch.

Marazzi, C. (2010): The Violence of Financial Capitalism. Los Angeles: Semiotext(e).

Marx, Karl (1969): Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie. Separatausgabe. Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, Band I. Berlin: Dietz.

Marx, K. (2012a): Der Zirkulationsprozeß des Kapitals. 33. Aufl. Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, Band II. Berlin: Dietz.

Marx, K. (2012b): Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion. 34. Aufl. Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, Band III. Berlin: Dietz.

Mirowski, P. (2015): Untote leben länger: Warum der Neoliberalismus nach der Krise noch stärker ist. Berlin: Matthes & Seitz.

Peck, J., Brenner, N. & N. Theodore (2018): Actually Existing Neoliberalism. In: Cahill, D. et al. (Hrsg.): SAGE Handbook of Neoliberalism. London: Sage .

Varian, H. R. (2011): Grundzüge der Mikroökonomik. 8. Auflage. München: Oldenbourg.